Ein sehr interessantes Interview anlässlich des Liverpool-Spieles, bei dem die Unterschiede vor allem hinsichtlich der Personalpolitik deutlich gemacht werden:
http://www.spiegel.de/sport/fussball/cha...53783.html
Interessante Passagen
SPIEGEL ONLINE: Dafür hat Liverpool aber auch sehr viel Geld ausgegeben - allein im letzten Sommer 18 Mal so viel wie die Bayern. Steht hier nicht das Konzept wirtschaftliche Unvernunft gegen Vernunft?
Biermann: Nein. Liverpool hat das Geld, und sie sind gut damit umgegangen. Natürlich waren sie nicht im Schnäppchenbereich unterwegs. Alisson, Naby Keita, Fabinho und Xherdan Shaqiri allein haben im Sommer 180 Millionen Euro gekostet. Aber durch den Verkauf von Philippe Coutinho im Winter davor wurden auch 135 Millionen Euro eingenommen.
Wichtiger ist aber, dass man eine klare Strategie erkennt. Bei Bayern erkenne ich die nicht.
SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich die besondere Trefferquote des FC Liverpool auf dem Transfermarkt erklären?
Biermann: Das hat damit zu tun, dass Liverpool sehr sorgfältig Spieler scoutet. Ein Beispiel: Firmino haben sie schon als Jugendlichen in Brasilien entdeckt. Sie fanden ihn außerordentlich talentiert, aber waren der Meinung, dass Liverpool für ihn zu früh käme. Sie haben ihn dann über Jahre weiter beobachtet, auch in Hoffenheim. Zu dieser Zeit stand in einem Scoutingbericht von Liverpool: "Es ist egal, wie das Wetter ist, der Gegner oder der Platz. Firmino spielt immer auf dieselbe hingebungsvolle, fleißige Art. Für ihn gibt es keine Grenze. Er ist ein Mann aus Stahl." Das war genau das, was sie haben wollten. Also zahlten sie für ihn auch 41 Millionen.
SPIEGEL ONLINE: Gutes, intensives Scouting betreiben aber auch viele andere Klubs.
Biermann: Ja, Liverpool hat mit der kaum bekannten Figur Ian Graham, dem Director of Research, jemanden, der sich auch sehr stark um das auf Daten basierende Scouting kümmert. Im Klub gibt es also eine Mischung aus Old-Fashion-Video- und Vor-Ort-Sichtung sowie ein Absichern der Erkenntnisse mithilfe von Daten. Das führt zu guten Ergebnissen.
SPIEGEL ONLINE: Wird bei den Bayern weniger gut gescoutet?
Biermann:
Ein populäres Missverständnis im Bezug aufs Scouting ist, dass es darum geht, Spieler zu entdecken. Entscheidend ist aber die Frage: Wird ein Spieler die Rolle ausfüllen können, die der Klub erwartet? Wenn man aber nicht weiß, wohin man will, ist das natürlich schwierig. Das Problem des FC Bayern ist nicht das Scouting, der Klub hat da tolle Leute, es ist die fehlende Strategie. Der FC Bayern musste in den vergangenen beiden Jahren geradezu schockiert feststellen, dass sich die Welt um ihn herum geändert hat. Der Aufstieg von mit Staatsgeld finanzierten Klubs wie Manchester City und Paris St. Germain hat die Kräfteverhältnisse verändert. Man muss unglaublich hohe Beträge investieren, um die Mannschaft zu verbessern. Mal sehen, ob das berühmte Festgeldkonto der Bayern reichen wird, denn sie brauchen eigentlich fertige Stars.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Biermann: Weil sie so lange in Europas Top Vier waren und die Ansprüche hoch sind. Das ist der Unterschied zum BVB. Dort gibt es ein Selbstverständnis: Wir arbeiten mit jungen Spielern wie Jadon Sancho und Achraf Hakimi, die auch mal Schwankungen unterliegen. Der Klub hält das problemlos aus, selbst wenn es jetzt wahrscheinlich das Weiterkommen in der Champions League kostet. Die Bayern hingegen müssen immer gewinnen und auf dem Transfermarkt entsprechend agieren.
Weil es dort aber plötzlich andere große Player gibt, ist die Situation extrem kompliziert. Im Sommer und jetzt im Winter wurden zwei Transferperioden weitgehend verschenkt. Es macht den Eindruck, als wollte der FC Bayern die Zeit anhalten.
SPIEGEL ONLINE: Das scheint auch für andere Bereiche im Klub zu gelten.
Biermann:
Die Rückkehr von Uli Hoeneß war sogar der Versuch, die Uhr zurückzudrehen. Auch bei Jupp Heynckes sollte die Zeit angehalten werden. Die Bayern hofften so lange auf seinen Verbleib, dass sie die Chance auf Thomas Tuchel verpassten, der gekommen wäre. Und schaut man auf die Besetzung des Sportdirektors, welches Profil erkennt man da? Dass Hasan Salihamidzic immer schon zur Familie gehörte.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielen die beiden Trainer, Jürgen Klopp und Niko Kovac, wenn man auf die veränderten Machtverhältnisse beider Klub schaut?
Biermann: Wie in Dortmund ist Klopp auch in Liverpool wieder die zentrale Figur, auf die sich alle und alles ausrichtet. Interessanterweise trotz eines, wie sie in England sagen, "europäischen Modells". Klopp ist nicht derjenige, der auch bei der Kaderzusammenstellung alles allein entscheidet, wie es bei Managern in England üblich ist. Und trotzdem gibt er klar die Richtung vor. Er bekommt die Spieler für die Art des Fußballs, die er spielen lassen will.
SPIEGEL ONLINE: Und Kovac?
Biermann:
Die Bayern haben sich erst spät für Kovac entschieden, der noch beweisen muss, dass er ein Trainer für einen Klub von diesem Format ist. Dazu hat er mit Salihamidzic einen schwachen Sportdirektor an seiner Seite, der eifrig mit den Flügeln schlägt, aber kaum etwas zustande bringt. Die angekündigten Wintertransfers, wie etwa der von Callum Hudson-Odoi, haben nicht geklappt. Scharmützel wie die mit Didi Hamann wirken eher peinlich. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass vieles, wofür der FC Bayern in den letzten Jahren stand, im Wanken ist. Das heißt beileibe nicht, dass morgen alles zusammenbricht, aber die Selbstverständlichkeit eines großen Klubs ist weg.
SPIEGEL ONLINE: Nun wollen die Bayern auf dem Transfermarkt groß investieren. Benjamin Pavard wurde schon für den Sommer verpflichtet, möglicherweise kommen auch Timo Werner und Lucas Hernandez für viel Geld. Machen die Münchner also genau das, was Liverpool vor ein paar Jahren gemacht hat?
Biermann: Sie müssen jetzt ja ihren Kader erneuern. Große Spieler, die das Spiel des FC Bayern geprägt haben, sind schon weg oder werden den Klub verlassen. Mit Robert Lewandowski, Thomas Müller, Mats Hummels, Jérôme Boateng und Manuel Neuer biegen fast alle zentralen Spieler auf die Zielgerade ihrer Karriere ein. Franck Ribéry und Arjen Robben haben sie längst erreicht,
die Bayern müssen also einen gigantischen Umbruch stemmen, weil sie die kontinuierliche Neuerung zum großen Teil verpasst haben.